Sonntag, 6. November 2011

„Stille Nacht“ – das magische Gewinnspiel


6 Autorinnen, 6 Geschichten und ein Gewinnspiel bis zum 6.12., bei dem es je ein Exemplar von 6 „Stille Nacht“-Anthologien zu gewinnen gibt.




Tanja Heitmann, Gesa Schwartz, Anika Beer, Michaela F. Hammesfahr, Nora Melling, & ein „special guest“ laden zu einer winterlichen Reise durch Zeichnungen, Gedichte oder auch Szenen ein, die mit ihren Geschichten aus „Stille Nacht“ verbunden sind. Außerdem treiben sich Weihnachtswichtel herum und geben ein verspieltes Zahlrätsel auf. Wer die Zahl herausfindet und sie bis zum 6. Dezember 2011 an stille-nacht-verlosung@gmx.de schickt, kann an der Verlosung teilnehmen.


Und hier startet unser Weihnachtswichtelrätsel: 10 kleine Weihnachtswichtel liefen durch den winterlichen Wald Finnlands, wo sie zwischen den Baumriesen und umringt von Schnee ein Liebespaar sahen. Gebannt blieben sie stehen, bis das Paar aus ihrer Sicht verschwand. Als sie ihre Reise fortsetzen wollten, steckten zwei bis zur Nase im Schnee fest. Da waren es nur noch  ... ein paar Übrige. Und die machten sich auf zur Homepage von Anika BeerViel Glück!


Wer Lust auf einen Vorgeschmack auf meine Geschichte "Eine Spur von Rot" hat, findet sie hier - keine Angst, sie ist spoiler- aber nicht vampirfrei ;-)



Eine Szene in Rot


von
Tanja Heitmann


Finjas stand am Fenster und blickte auf die Straße hinab.
Dort sah er nichts als Leere, obgleich reges Treiben herrschte.
Jetzt, zur dunkelsten Stunde, waren sie unterwegs, gingen ihren Geschäften und Vorlieben nach und bevölkerten diese bei Tag ausgestorbene Stadt. Denn das Licht der Sonne offenbarte, was sie wirklich waren: unvollständige Geschöpfe, denen nur ein halbes Leben in der Dunkelheit zustand. Wie schon so oft malte er sich aus, wie er zur Mittagsstunde durch verwaiste Straßen schlenderte, die von herbstlich schimmernden Baumkronen gesäumt wurden, deren Farbspiel er lediglich von künstlichem Licht belebt kannte. In seinem Tagtraum waren die hektischen Schritte der Passanten verklungen, genau wie ihre tausend Gerätschaften, die der Nacht die Stille raubten. Bei Tag hingegen herrschte Vogelgesang - und jetzt im Herbst nicht einmal das, so malte es sich Finjas zumindest aus. Eine kitschige Vorstellung, aber er brauchte sie, er hielt sich an ihr fest.
Derlei Gedanken gingen Finjas schon seit einiger Zeit durch den Kopf, hatten sich mit dem Schneetauen zu Jahresbeginn zu ihm gesellt, hatten dem Frühlingserwachen seinen Zauber geraubt und den Sommer an ihm vorbeiziehen lassen. Seit der Herbstwind durch die Straßen wehte, erwachte er endlich aus seiner Lethargie, aber nicht um festzustellen, dass es ihm besser ging. Im Gegenteil, er erkannte seine aussichtlose Lage klarer denn je. Das, was ihm die Stadt zu bieten hatte, interessierte ihn nicht. Er wollte nicht hinausgehen und so tun, als würde er leben, obwohl er nur ein Schatten unter Schatten war. Ein Vampir ohne ein Ziel vor Augen, ohne eine ernstzunehmende Aufgabe, ohne einen Funken Leben in seiner Brust.
„Wahnsinn, da lasse ich dich fünf Minuten allein und – schwups - hat sich was verändert! Du guckst ja gar nicht mehr trübe aus der Wäsche, mein Freund. Ist da draußen was Spannendes passiert? Obwohl ... Moment ... dieser Ausdruck gefällt mir auch nicht wirklich. Verdammt. Dabei warte ich schon seit Wochen wenn nicht seit Monaten darauf, das er sich ändert. Und nun das: eine verbitterte Miene. Ich vermute mal, aus der Party in den frühen Morgenstunden wird heute nix.“
Rascal war neben ihn getreten, die Hände in den Hosentaschen. Alles ganz entspannt, ein lockerer Plausch unter Freunden. Doch sie kannten sich zu lange und zu gut, um sich gegenseitig etwas vorzumachen. Finjas schenkte ihm ein angedeutetes Grinsen über das spiegelnde Fensterglas, mehr war nicht drin.
Hinter ihnen ertönten das Knatschen schwerer Boots.
„Großartige Idee, Rascal. Wir ziehen mit einem verzweifelten Vampir los und scheitern am Türsteher, weil Finjas kurz vor dem Eintritt ins Paradies anfängt, eine Ansprache über die Leere in unser aller Leben zu halten. Mir dröhnt noch seine letzte Rede durch den Kopf“, zischte Ley ihm ins Ohr. Dabei roch er die bittere Note in ihrem Atem, die verriet, dass sie schon mehr getrunken hatte, als gut für sie war. „Das war der beschissenste Ausklang einer Nacht, den ich je erlebt habe.“
Rascal lacht. „Ja, genau, weil sie letztlich Finjas reingelassen haben, und du draußen bleiben musstest. Auf seine Depri-Art ist er eben unwiderstehlich.“
„Unwiderstehlich ... kein anderes Wort passt besser zu Finjas, soviel steht fest.“
Diese Stimme besaß eine eigene Macht über Finjas, wie sie samtig und doch voller Zurückhaltung durch den Raum klang. Gegen seinen Willen drehte er sich um und musterte Alissa, die im Türbogen stehen geblieben war. Sie war ein hellstrahlender Traum, wunderschön. Und doch wusste er, dass auch sie von einer Kälte erfüllt war, wie sie ihnen allen zueigen war. Vor ihnen lag die Unendlichkeit, auch wenn sie gerade ihre ersten Schritte in die Unabhängigkeit setzten, jung, wie sie für Vampire waren. Aber das Wissen, dass ihnen unzählige Jahre zur Verfügung standen, machte sie zu Hüllen, denn nichts, was geschah oder welche Entscheidung sie fällten, zählte angesichts ihrer unbefristeten Zukunft. Ihr gesamtes Miteinander war nicht mehr als ein unterhaltsames Spiel und jeder einzelne darin war eine austauschbare Figur. „Sieh es ein, wir passen eben nicht zueinander“, flüsterte Alissa in einer Erinnerung. „Aber deshalb muss doch keiner von uns beiden eine Träne vergießen, schließlich wir haben die Unendlichkeit vor uns, um herauszufinden, wer wir sind und was wir wollen.“
In dieser Hinsicht war Finjas ihnen einen Schritt voraus: er wusste jetzt, wer er war, nämlich eine Niemand. Und er wusste, was er nicht wollte, nämlich weder Alissa noch einen anderen Schatten.
Ohne zu zögern – so, wie er es zuvor viele Jahre lang getan hatte - erwiderte er Alissas Blick. Warum auch nicht? Als sie vortäuschte, sich das helle Haar zurückzustreichen, damit sie ihn nicht länger ansehen musste, ließ es ihn unberührt.
„Ich schlage vor, wir brechen allmählich auf. Und da wir uns heute ausnahmsweise einmal amüsieren wollen, bleibst du bei deinem Fenster stehen und passt auf, dass niemand die Straße klaut.“
Die Angriffslust hinter Alissas Worten überraschte Finjas, dann musste er den Kopf schütteln. Schließlich war sie es gewesen, die die Distanz zwischen ihnen eingefordert hatte, als ihr bewusst geworden war, dass er mehr forderte, als sie zu geben imstande war. Dinge wie Wärme ... Vertrauen ... und eine Verbundenheit, die nicht beliebig aufgelöst werden konnte.
„Grüß den Türsteher von mir, dann lässt er euch auf jeden Fall ein“, sagte er mit einem Achselzucken, bevor er sich wieder der Aussicht zuwendete. Draußen hatte der Herbst sämtliche Blätter der Allee zu Boden gezwungen, bald würde der Schnee sie bedecken. Eine friedvolle Vorstellung.
Alissa schnaufte. „Als ob ich deine Hilfe brauchen würde, um in einen Club zu kommen.“ Trotzdem schwang eine unüberhörbare Unsicherheit mit.
„Zur Hölle, Finjas. Was macht es für einen Unterschied, ob du hier stehst oder mitkommst?“ Rascal packte ihn am Ellbogen, unsicher, ob die Nähe erwünscht war. Finjas war zuletzt nicht sonderlich zugänglich gewesen. „Außerdem ... wenn man erst mal da ist und es ordentlich krachen lässt, läuft es wie von allein.“
„Und wenn nicht, dann habe ich hier eine kleine Starthilfe.“
Leys Lachen klang wie Schleifpapier auf Finjas sensible Sinne. Dann drang ein glucksendes Geräusch zu ihm durch, dass ihn alles andere vergessen ließ. Ley hielt eine Blutkonserve in der Hand, eine ohne Banderole, also irgendein undefinierbares Zeug vom Schwarzmarkt, auf das sie so abfuhr. Geschickt fing er es auf, als sie ihm die Konserve zuwarf, und setzte eine paar Schritte in den Raum. Dieses scharlachrote Elixier war gut, verdammt gut, wenn man nichts anderes wollte, als abzudriften. Die Vorstellung war verführerisch, zweifelsohne. Ein Großteil ihrer Gattung schwörte darauf, dass es der beste Weg war, um die Unsterblichkeit durchzustehen. Benommen, nicht Herr seine Sinne und Wünsche.
„Was soll’s, dann pfeif Dir das Dreckszeug eben rein, wenn es nicht anders geht.“ Rascal sah unzufrieden aus, denn er mochte die Schwarzmarktkonserven nicht. Warum auch? Ihm ging es auch so blendend, es sei denn sein bester Freund schwelgte in Depressionen.
Finjas wog die Konserve in seiner Hand, sie fühlte sich kalt und künstlich an. Das exakte Gegenteil von dem, wonach er sich sehnte. Bevor er den Entschluss überhaupt gefasst hatte, warf er die Konserve mit aller Kraft gegen das Fenster, das zerbrach. In einer Bruchstelle blieb der Plastikbeutel hängen, wurde aufgeschlitzt und ergoss seinen Inhalt über das heile gebliebene Glas. Färbte die Welt rot ein.
Das Rot zündete eine Idee hinter seiner Stirn.
Unwillkürlich schloss Finjas seine Augen und dachte an Schnee, an weiße, spurenlose Reinheit, an eine weiche Decke, die sich über alles legte und es dämmte und schließlich zum Schlafen brachte, bis es endlich Zeit war, sich zu erheben und das Gesicht der Sonne entgegenzuhalten. Dorthin würde er gehen, in ein Reich aus Schnee, dort würde er darauf warten, dass das Leben für ihn endlich anbrach.
Während dieser Entschluss in ihm reifte, achtete er nicht auf seine Freunde, die zuerst wild durcheinanderredeten und an ihm herumzerrten, um dann leise zu werden und schließlich zu gehen. Erst als er alleine war und er sich sicher sein konnte, dass niemand etwas von seinem Tun mitbekam, ging er ebenfalls.
Endgültig.

Wohin Finjas geht und was ihn dort erwartet, erfahrt Ihr in der Geschichte „Eine Spur von Rot“ in „Stille Nacht“.

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