Dienstag, 21. Juni 2011

Über Buchstaben-Gärtner

In Interviews und bei Lesungen wird oft die Frage gestellt, wie Autoren ihre Romane angehen, sobald die Grundidee steht.
Meiner Erfahrung nach gibt es dabei zwei Typen von Autoren: die eine Hälfte schreibt keinen Satz, bevor sie nicht exakt festgelegt hat, was in welchem Kapitel passieren wird. Der Roman steht also schon komplett, bevor er aufgeschrieben wird. Die Worte werden nur noch wie ein Kleid über die Schusterpuppe gezogen. Die andere Hälfte der Autoren, zu der ich zähle, stürzt sich in einen neuen Roman mit einigen vagen Ideen und gelegentlichen Anhaltspunkten wie „der Bösewicht ist gar keiner“. Dadurch wird das Schreiben zu einem Abenteuer, denn man kann sich selbst überraschen (unschlagbares Argument zur Motivation meiner Erfahrung nach).
Natürlich entspricht wohl kaum ein Autor zu hundert Prozent einem Typus, an manchen Tagen bin ich mehr Planer und an anderen eine konfuse Mischung, aber in Prinzip würde ich einer während des Schreibens entstandenen Idee stets mehr Vertrauen einräumen als meinen Reißbrettnotizen. Warum ich – und sicherlich auch einige der schreibenden Kollegen - das so mache, hat der große George R.R. Martin in der aktuellen RT wunderbar auf den Punkt gebracht: „You’re an architect, you plot everything in advance. I’m a gardener. I know what I’m planting, as it were, but I discover the shape in the writing. Being a gardener is less efficient. Sometimes you go down blind alleys and your tree can grow an unslightly limb that has to be lopped off, but you can also discover great beauty with my methods.”

Sonntag, 19. Juni 2011

Ein Textsplitter aus dem „Traumsplitter“ – rein romantischer Natur





Vor einiger Zeit brauchte ich dringend einen super-romantischen Rote-Nase-plus-Schokolade-Film, denn Ella – mein 21 Jahre alte „Traumsplitter“-Heldin und ihres Zeichens angehende Photographin - bekommt Nachhilfe in Sachen Liebe von einer künftigen Braut, die sie ablichtet. Zuerst macht Ella sich lustig über die rosarote Sichtweise der anderen, denn das Thema „Verliebt bis über beide Ohren“ ist ihr nicht ganz geheuer und sie versucht, mithilfe einer Dosis Zynismus auf Distanz zu gehen. Gelingt ihr natürlich nicht. Denn mit der Liebe ist es wie mit dem Anschauen von Liebesfilmen: wenn es erst einmal funkt, gibt es kein Entkommen. Da hilft dann auch kein ironisches Augenbrauenhochziehen mehr.

Auf der Suche nach dem richtigen Film für diese Szene habe ich ganz liebe Unterstützung von einigen Ladies and Gentlemen auf meiner facebook-Seite herhalten. Hier nun als Danke einen winzigen und leicht bösen Abschnitt aus dem Kapitel „Brautschau“. Wie immer gilt: wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten ;-)

„Ja“, hauchte die Braut und blinzelte eine Träne weg. „Bei mir und Hannes ist das dasselbe. Diese innere Stimmigkeit, die man kaum erklären kann. Je besser wir uns kennen, desto tiefer wird die Überzeugung, dass wir eins sind. Hannes würde das ja nie zugeben, aber auch er spürt diese tiefe Zusammengehörigkeit. Schicksal nennt man das, daran glaube ich fest. Wenn man so etwas hat, darf man es nicht einfach aufgeben, nur weil ein Fehler gemacht worden ist. Da braucht man als Frau Herzensstärke.“ Diesem Gedanken nachhängend, blickte die Braut in die Ferne, ein verräterisches Glitzern in den Augen, während ihre Hand suchend über das Holzgeländer glitt.
Ella fotografierte mittlerweile rein instinktiv.
Die Braut mochte einmal zu oft Nur mit dir gesehen haben, aber irgendwie war dieser unumstößlich Glaube an die wahre Liebe auch mitreißend. Konnte es sein, dass es das gab? Und selbst wenn ... waren sie und Gabriel geeignete Kandidaten für dieses Spiel? Zumindest sie schaffte es ja nicht einmal anständig verliebt zu sein, ohne gleich die Nerven zu verlieren. Was sollte sie da bloß mit Liebe anfangen?
Ella drückte erneut den Auslöser, als die Braut sie zuckersüß verträumt anlächelte. Nun, wenn es die wahre Liebe für diese Junge Frau gab, warum sollte Ella Johansen dann nicht auch einmal ihr Glück versuchen?

Dienstag, 14. Juni 2011

Taschentücher und Baldrian

Einen Roman zu schreiben, ist eine großartige und ausgesprochen befriedigende Angelegenheit. Ein Haufen Buchstaben, die eine Welt abbilden, die ansonsten nur im Kopf des Autoren existiert hätte. Garniert mit den Momenten, wenn man beim Schreiben in eine flow gerät, die Sache sich also verselbstständigt und man sich später wundert, welche Wege man in der Geschichte eingeschlagen hat und woher noch einmal diese eine Figur mit dem seltsamen Namen kommt, die so viel Raum für sich in Anspruch nimmt. Das ist alles sehr schön, und wenn ich dann meinen Laptop ausschalte, habe ich stets ein zufriedenes Lächeln im Gesicht.
         So könnte das gern immer sein - ist es aber leider nicht. Denn es gibt da noch etwas anderes, die sogenannten Schreikampfzustände, auch als Überarbeitungsphase bekannt. Die kennt vermutlich jeder, der einmal einen Text geschrieben und anschließend poliert hat. Für Autoren, die ihre Romane mit der Akribie eines Feldzugs planen, ist dieser Arbeitsschritt vermutlich ein Klacks: ein bisschen Lektoratsanmerkungen umsetzen und noch mal nach Tippfehlern suchen. Das war’s!
Tja, bei mir nicht. Wenn ich zu schreiben beginne, habe ich zwar Figuren, Thema und eine ungefähre Wegbeschreibung für die Story im Kopf, bin allerdings jederzeit bereit, sämtliche Pläne über Bord zu werfen und zu tun, was mir die Muse einflüstert. Und sie flüstert mir gerne Dinge zu wie „Das war ja alles ganz toll mit dem Konzept bislang, aber warum machen wir es nicht einfach anders herum? Wäre doch auch ganz spannend“ oder „Ja, klar, Gabriel sollte ein ganz Hinterhältiger werden. Du bist ja auch die Autorin, es ist dein Roman … aber er meint, so sei er gar nicht. Vielleicht denkst du ja mal drüber nach“ Was ich dann auch prompt mache. Und – zack – ist das unter Qualen geschriebene Exposee Altpapier und Gabriel der lässige Typ, der er seiner Meinung nach sein sollte.
         Meine Muse plappert gern und viel, sodass ich im Endeffekt viel und weniger gern überarbeiten muss. Um es professionell auszudrücken: die Anschlüsse müssen stimmen. Damit sie das tun, sitze ich wochenlang über einem Text und grübel und poliere und lese nach und … widerstehe mühsam dem Verlangen, die Löschtaste zu drücken, damit das Elend endlich ein Ende hat. Jedes Mal dasselbe Drama. Soll ja ein anständiger Roman werden, versuche ich mich zu motivieren. „Ich hätte da eine sensationelle Idee im Angebot“, funkt mir die Muse dazwischen. „Du brauchst nur eine neue Datei zu öffnen und sie notieren. Wenn es gut läuft, kannst du ja mal ein paar Zeilen antesten. Nur so zum Spaß. Dieses ewige Überarbeiten ist doch laaaangweilig.“ Das finde ich auch, trotzdem würge ich die Muse ab und starre den Bildschirm mit den Szenen an, die doch eigentlich alle schon geschrieben sind. Reiße mich zusammen, konzentriere mich, bin voll bei der Sache. Vielleicht nicht ganz, denn diese „sensationelle Idee“ klang schon interessant. Und tippen kann ich mittlerweile wie ein Weltmeister. Genau, ich mache ganz rasch, dann schaffe ich beides: neue Idee aufschreiben, alte Idee polieren.
         Geht natürlich nicht, ist schon klar. Mit einem Hintern auf mehreren Hochzeiten tanzen und so. Trotzdem gerate ich jedes Mal in Versuchung. Das Autorendasein ist schon eine traurige Angelegenheit. Zumindest in den Schreikrampfphasen.


Sonntag, 5. Juni 2011

Entzug macht klug ... oder so


Eine Sache, die ich jedem schreibenden oder sich auf eine andere Art kreativ austobenden Menschen empfehlen würde, sind Auszeiten. Richtig bewusst gesetzt, auch wenn einem beim Gedanken daran schon ganz komisch wird. Jedenfalls ist das bei mir so, ich muss nur „Auszeit“ denken, dann bekomme ich bereits feuchte Hände und schraube an Ausreden à la „Aber Notizen auf Schmierpapier zählen ja wohl nicht, oder?“ (in meinem Fall zählen sie wirklich nicht, weil ich meine eigene Handschrift nicht lesen kann, diese Art Notizen also quasi nicht existieren). Qual egal, ab und an muss das einfach sein. Schreiben darf nicht zum 0815-Erlebnis werden, sondern muss etwas Besonderes sein, etwas, bei dem man aufgeregt ist. Diese kleinen Auszeiten, die also ein regelrechter Entzug sind, halten die Liebe frisch, wenn man es so sehen will.
In meinem Fall bedeutet das: das Laptop bleibt aus, der Küchentisch wird ausschließlich als Küchentisch benutzt, und die Tore ins Netz bleiben verriegelt und verrammelt. Kein rasches Email-Checken, no Sir! Die einzige Pforte ins Zauberland, die offen bleibt, ist das Oberstübchen, die ich allerdings meide. Stattdessen ist Rumtreiberei mit dem Kind angesagt – ein Fünfjähriger braucht nicht mehr als einen Stock in der Hand und eine Mutter, die ihm willig über jeden Schlammpfad folgt. Es wird gekocht – auch kreativ, aber halt anders. Und es wird gelesen – ausschließlich Fun-Krams (Empfehlung des Tages: Jana Olivers „The Demon Trapper`s Daughter“ – allein der Anfang mit einem frech herumpinkelnden Bibliotheksdämon ist es auf jeden Fall wert).
Und irgendwann im Lauf der Auszeit wird die Zauberland-Pforte von der anderen Seite aufgestoßen und die Ideen purzeln heraus. Das ist mein absoluter Lieblingsmoment, dann heißt es Erntezeit. Hier ein Auszug aus meiner aktuellen Ernte: Lösung für eine „Traumsplitter“-Szene, die mir Bauchschmerzen gemacht hat, ein neues Sphäre-Element für „Schattenschwingen III“ und die fantastische Welt für meine „Wächter“, die neue Jugendbuch-Reihe nach den Schwingen, hat sich aufs Schönste vor meinem geistigen Auge ausgebreitet. Vielen Dank dem, der diese Schätzchen durch die Pforte geschickt hat! Meist fällt dieses Gepurzel übrigens mit dem Zeitpunkt zusammen, wenn es in den Fingern zu kribbeln anfängt und man der festen Überzeugung ist, gleich platzen zu müssen, sollte man nicht sofort den Rechner anschmeißen dürfen.
Probiert es mit der Auszeit einfach einmal aus, aber haltet eure Notizblöcke, Zeichenutensilien oder was auch immer bereit. Denn: mit Früchten ist zu rechnen.