Donnerstag, 3. Mai 2012

Schattenschwingen-Nachwehen


Grün wie die Hoffnung

Nun ist er also in der Welt, der Abschlussband der „Schattenschwingen“-Trilogie. Ein finales Finale. Finaler geht es nicht, richtig? 
Als ich im letzten Herbst in Richtung „die letzten hundert Seiten“ durchgestartet habe, gingen mir oft Gedanken durch den Kopf wie „Nur noch ein paar Buchstaben, dann bist du raus aus der Geschichte. Das war es dann mit der Sphäre, St. Martin und all den Figuren, die dir drei dicke Bücher lang ans Herz gewachsen sind. Es wird Schluss sein mit deinen ganz persönlichen Engeln. Aber so ist das, ordentliche Geschichten verlangen nach einem ordentlichen Ende. Und für die Schwingen ist es jetzt soweit. Also reiß dich zusammen und tu es.“
Ich habe mich zusammengerissen, aber nicht gern. Ehrlich gesagt, mit viel Gejammer und Geheule. Ein wenig erleichtert hat es mir die Geschichte selbst, weil sie ein solches Tempo an den Tag legte, dass ich kaum Gelegenheit hatte, Taschentücher vollzuschluchzen. Und plötzlich lag „Zeit der Geheimnisse“ schon im Lekorat, die Fahnen wehten herein ... und dann war das Buch auch schon da.
Der Vergleich ist alt und oft genutzt, aber er stimmt einfach: Bücher kriegen und Kinder schreiben - das ist sich beides sehr ähnlich. Zu Anfang ist einem schwummerig vor Aufregung, dann kommt eine entspannte Phase, die gern immer so weiter gehen könnte („Hey, ich und das Baby/Buch sind echt ein lässig eingespieltes Team. Ist ja toll, so kann das bleiben“) - was sie natürlich nicht tut. Wenn der Gipfel langsam ist Sicht gerät, wird es nämlich ungemütlich bis arg anstrengend („Die Schwerkraft hasst mich und meinen Bauch!“ respektiv „Wann haben sich bloß diese ganzen Figuren eingeschlichen, die nun plötzlich superwichtig sind? Die passen unmöglich durch das Finale!“). Man wünscht sich, endlich den Rückwärtsgang zu finden, den es natürlich nicht gibt. Ha, sonst hätte man den bereits vor den Abi-Prüfungen ausgiebig bedient, um die vier Wochen Bummelanz durch intensive Lernerei auszutauschen. Außerdem ist da noch die überfallartig auftretende Frage, was man sich eigentlich bei dem Unsinn gedacht hat. Bücher in die Welt setzen, dass sollen doch bitteschön die anderen machen! Ich war eindeutig nicht klar bei Verstand, als ich mich dazu entschlossen habe, die Sache hier durchzuziehen ... Ich will zu meiner Mama! Irgendwann übernimmt dann der Lauf der Dinge, es flutsch quasi von allein, und nach all den Mühen, Zweifeln und Schokokeksen hält man endlich sein Buch in den Armen und weiß, es war die ganze Mühe wert.
Ab diesem Moment sind Babys klar im Vorteil, denn sie halten die Mama dermaßen ordentlich auf Trapp, dass sie gar nicht erst auf dumme Ideen kommt. Bücher sind da anders. Vor allem Trilogien. Und ganz besonders die „Schattenschwingen.“
Seit meine Kiste mit „Zeit der Geheimnisse“-Belegen eingetroffen ist, arbeitet es in mir.
Das soll wirklich schon alles gewesen sein?, flüstert mir eine verzerrte Stimme zu.
Als ob ich auf den Trick mit dem Stimmverzerrer reinfalle: es ist meine Muse. Für gewöhnlich freue mich, wenn sie mir etwas zu erzählen hat, in diesem Fall jedoch nicht, also steckte ich die Zeigefinger in meine Ohren und singe „Erzähl es jemand anderen, jemanden mit viiiiel Zeit, tralalala.“ Leider ist diese Technik Mumpitz, wenn die Stimme im eigenen Kopf erklingt. 


Nun tu mal nicht so, du willst es doch auch.
Klar will ich es auch, aber wir alle wissen, wie eine solche Nummer endet: mit Heißhunger, Schwerkraftproblemen und Aua ... Halt, das war beim echten Baby. 
„Trallalala.“
Alles was ich will, ist einen Vorschlag zu machen, wie die „Schattenschwingen“ fortgesetzt werden könnten. Betonung auf „könnten“, niemand zwingt dich dazu, Schreiberling. Es ist nur ... Schließlich wird es ab dem dritten Band erst so richtig spannend  (ACHTUNG: SPOILERGEFAHR! Wer den dritten Band noch nicht kennt, sofort mit dem Lesen aufhören und Tralala singen). Meine Idee für eine Fortsetzung basiert auf der schwarz-weißen Traumwelt, die etwas über den Ursprung der Schattenschwingen andeutet: Weiß kämpft gegen Schwarz. Wenn sich Sphäre und Menschenwelt nun einander annähern, so wie Mila & Sam es tun, dann – jetzt kommt der Knüller – kommt es zu einem Ungleichgewicht und eine bislang unbekannte Welt tritt auf den Plan. Eine richtig finstere und böse Welt.
Ich lasse die Zeigefinger sinken. „Eine böse Welt?“
Eine bedeutungsvolle Pause. Die Muse weiß ganz genau, dass sie mich am Wickel hat. Und dann holt sie zum Endschlag aus. Wolltest du nicht schon immer mal über deine ganz privaten Teufel schreiben?
Bescheunigter Herzschlag, feuchte Hände. „Ja, ja, ja! Nur wann?“
Genau in diesem Moment verabschiedet sich die Muse, mit Zeitplänen will sie nichts zu schaffen haben, die haben dieselbe Wirkung auf sie wie das Weihwasser auf den Teufel. Aber ich sitze allein mit beidem da: einer Idee und einem proppevollen Zeitplan, in dem definitiv keine vierten Bände in den nächsten Jahren vorgesehen sind. Sogar wenn ich das Schlafen ab sofort einstelle, wird es nichts vor 2015 werden. Schrecklich, aber wahr.

Eine gute Sache hat es, wenn man mit einer Idee schwanger geht: im Gegensatz zu „echten“ Schwangerschaften kann man sich einen Schnaps gönnen. Denn brauchte ich nach dieser Unterredung dringend.

Die 2 dahinten, das sind doch ...


Mittwoch, 28. März 2012

Die Macht macht's


17
Das ist nicht gut.
Ich zähle im Kopf noch einmal durch und komme zum gleichen Ergebnis: 17 mögliche Finale fürs aktuell zu schreibende Jugendbuch. Das kommt davon, wenn man zu viele Spaziergänge macht, um sich ein anständiges Finale auszudenken.
Nun klingen 17 mögliche Finale superkreativ und gaaaanz toll – sind sie aber nicht, denn keins von ihnen überzeugt. Sie sind nett, diese 17 kleinen Möchtegerns, aber leider knallt keins richtig. Und so mag ich das nun einmal am liebsten bei einem anständigen Fantasyspektakel: buff-krach-peng.
Also sitze ich ein wenig verlegen vorm Laptop und überlege, ob Nr. 18 vielleicht der revolutionäre Durchbruch sein könnte. Noch einmal durch die Felder streifen? Die Sonne scheint gerade so schön ...
Ich reiße mich zusammen, bleibe sitzen und zwinge mich dazu, mich einer Tatsache zu stellen: beim Schreiben bin ich kein Planner. Das war schon immer so, Zeit es zu akzeptieren, obwohl ich nach über zehn Romanen schon finde, dass die Schreiberei langsam mal etwas absehbarer werden könnte. Es muss doch möglich sein, schreibtechnisch in den ruhigen Gewässern unterwegs zu sein, indem man eine komplette Roman-Vorstrukturierung leistet. Außerdem wäre es auch ein Vorteil, seine Lektorin mal mit einem schicken Exposee zu beglücken, anstatt ihre wirr zusammengewürfelte Brocken am Telefon zu präsentieren:
„Okay, dass klingt jetzt nicht überzeugend, aber weißt du, dass muss man lesen, dann funktioniert es.“
Wenig überzeugtes Schweigen am anderen Ende der Leitung.
Verzweifelte Autorin, hinter deren Stirn eine Kollage aus buntem Allerlei herrscht, aus denen definitiv ein Roman entstehen wird, greift zum letzten Mittel. „Es gibt Blitze und blaue Linien ... ach ja, und Salz spielt auch eine Rolle. Einfach mal vorstellen.“
Ein Seufzen.
Autorin würde mittlerweile gern mitseufzen. „Machen wir es wie das letzte Mal: Vertrau mir einfach.“
„Ein toller Vorschlag!“
Es scheint mein Schicksal zu sein, mich jedes Mal mit einem flauen Gefühl im Magen ans Schreiben zu machen, heimgesucht von der Frage: wird sich der Zauber erneut einstellen, bei dem sich Zeile um Zeile wie von selbst schreibt? So ist es natürlich nicht ständig, aber die entscheidenden Szenen, die den Fortgang der Geschichte festlegen, entstehen überwiegend auf diese Weise. Deshalb macht es wenig Sinn für mich, ein Finale spinnen zu wollen, wenn ich lediglich die erste Hälfte des Romans zu Papier gebracht habe. Denn plötzlich schreibt sich ein Abschnitt, der alle schönen Pläne wieder zunichte macht, und dann habe ich den Salat. Kenne ich ja schon. So wurde aus dem Oberschurken beim „Traumsplitter“ mit einem Mal ein schillerndes Wesen, das keineswegs klassisch böse ist, während eine weibliche Nebenrolle unerwartete Fiese-Möp-Qualitäten an den Tag legte. Und, ja: das Ergebnis war deutlich besser, als das ursprünglich am meinem mentalen Reißbrett geplante.
Ich verabschiede mich also von meinen 17 angedachten Finalen, greife wieder auf die Jedi-Technik zurück und flüstere beim Öffnen des Schreibprogramms „Möge die Macht mit mir sein“. Wenn Luke Skywalker mit verbundenen Augen Treffer mit seinem Lichtschwert erzielt, bekomme ich das auch hin! Hoffentlich ...

Freitag, 3. Februar 2012

Nach "Eine Spur von Rot", Teil 2

Hallo Ihr Lieben, 

heute geht es mit Finjas & Michal weiter (Prolog und Teil 1 sind unter den älteren Blog-Beiträgen zu finden, der Anfang der Geschichte steht in der Anthologie "Stille Nacht") - die Eiseskälte und der Schnee sind einfach inspirierend. Ich wünsche Euch viel Spaß und warme Füße.



Das rote Band

Sie ist fort, war der erste Gedanke, der zu Finjas im Erwachen durchdrang, noch bevor seine Sinne ihm zuspielten, dass Michal tatsächlich nicht mehr in der Höhle war.

Durch den Schrecken kehrte das Leben viel zu schnell in seinen Körper zurück, brannte sich glühend durch seine Adern, entzündete sich in seinen Gliedern und rauschte in seinen Schläfen. Es war allerdings nicht nur das Wissen, dass Michal nicht bei ihm war, wie sie es versprochen hatte, weshalb er auf eine Art erwachte, die ihn fast zerriss. Sondern es war auch ihr Blut: Mit ungebrochen berauschender Kraft toste es in ihm und verlieh ihm das Wissen, mehr als ein Schatten in der Nacht zu sein.
Während sich die Welt um Finjas herum drehte, richtete er sich auf und verdrängte sowohl das überwältigende Erlebnis als auch den Schmerz, den es mit sich brachte. Schließlich war dies ein Leichtes im Vergleich zu der aufsteigenden Panik. Wohin war Michal gegangen? Würde sie zurückkehren?, brach sie hervor und ließ sich nur mühsam von ihm unterdrücken.
 Was er jetzt brauchte, war ein kühler Kopf.
Ohne Rücksicht auf seine Gefühle, versuchte er sich an sein Gespräch mit Michael zu erinnern. Bruchstück für Bruchstück setzte er es zusammen, denn je mehr das Leben mit Anbruch des Tages aus ihm gewichen war, desto schwieriger fiel die Erinnerung. Ihre Worte versanken in Nebel, aber auch seine eigenen konnte er lediglich erraten.
Am Ende der Nacht war Michal erschöpft und ausgehungert gewesen, die Kälte hatte ihr zugesetzt und die frische Wunde an ihrem Hals zum Schmerzen gebracht. Natürlich hatte sie nichts gesagt, aber ihr Blut hatte es ihm verraten, wie ein Phantomschmerz hatte er das dumpfe Pochen gefühlt. Die Höhle, der verschneite Wald ... das waren nicht die richtigen Orte für ein Menschenmädchen, hatte er begriffen, während seine Gedanken immer träger geworden waren. Er hatte sie gedrängt, dorthin zu gehen, wo es Wärme und Nahrung für sie gab, obwohl sie diese Notwendigkeit bis zum Schluss abgestritten hatte.
Nun war sie nicht mehr da. Lediglich ihr Geruch war geblieben und eine feine Spur, die sich nur vampirischen Sinnen offenbarte. Schließlich war er ein Jäger, auch wenn er diesen Zug an sich verabscheute.
Mittlerweile hatte Finjas seinen Körper soweit unter Kontrolle, dass er durch den niedrigen Eingang der Höhle schlüpfte, ohne sofort in einen wilden Lauf auszubrechen, der die pulsierende Kraft in seinen Beinen befriedigt hätte. Die Nacht war gerade erst angebrochen und würde noch lange andauern, während die Tage auf dem Höhepunkt des Winters nicht mehr als ein kurzes Aufflammen in der Dunkelheit waren.
Finjas legte den Kopf in den Nacken und ließ die vielfältigen Eindrücke des Waldes auf sich einwirken. Vor seinem geistigen Auge zeichnete sich Michals Spur wie ein rotes Seidenband ab.
Es wäre so leicht, die Spur aufzunehmen, ihr zu folgen ...
Etwas hielt ihn jedoch davon ab.
Eine andere Spur.
Kein rotes Band, das zwischen ihnen durch das Geschenk geknüpft worden war, das Michal ihm gemacht hatte, sondern lediglich ein Geruch. Es war der Duft von jenem Elixier, von dem er vor kurzem zum ersten Mal gekostet hatte, jedoch mit einer anderen Note.
Einen Moment stand Finjas noch reglos da, dann begriff er: Menschen waren durch diesen Teil des Waldes gekommen, eine kleine Gruppe, wenn er sich nicht täuschte.
Mit so leichten Schritten, dass sein Füße kaum in den Schnee sanken, folgte er dem Geruch, der sich schließlich mit Michals roten Band kreuzte. Die Wege dieser Menschen und Michals waren zweifelsohne aufeinandergestoßen und sie hatten ihre Wanderung durch den Wald gemeinsam in die Richtung fortgesetzt, in die Michal ursprünglich gewollt hatte.
Das Fest, von dem sie ihm erzählt hatte. Die Heilige Nacht.
Ein Fest der Menschen, die verborgen in diesen nicht enden wollenden Wäldern lebten.
Dorthin war sie gegangen und mit dem Einbruch der Dunkelheit nicht wieder zu ihm zurückgekehrt. Die Fährte war kalt.
Zuerst wollte Finjas dem Verlangen nachgeben, ihr zu folgen, getrieben von dem übermächtigen Wunsch, bei ihr zu sein, ihren warmen Pulsschlag zu fühlen, ihre Stimme zu hören, einfach in ihrer Nähe zu sein. Dann beschloss er, die vergangene Nacht noch einmal in Gedanken durchzugehen, bevor er in diese Menschenbastion vordrang, die zweifelsohne gut bewacht sein würde. Finjas fürchtete die Wächter nicht, mit denen er bereits Bekanntschaft gemacht hatte, nur durfte er den Menschen, denen Michal sich zugehörig fühlte, nicht ohne guten Grund Leid zufügen. Seine Sehnsucht nach ihr würde als Rechtfertigung dafür wohl kaum ausreichen.
Während mit der stetig tiefer werdenden Nacht auch die Kälte zunahm, bis selbst Finjas sie spürte, drängte sich ihm die Frage auf, ob es nicht vielleicht das Beste für Michal war, wenn sie bei den Menschen blieb. Die Dinge hatten sich überschlagen, hatten ihnen keine Gelegenheit gelassen, auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was mit ihnen und zwischen ihnen geschah. Die alles entscheidende Frage war: was konnte er ihr bieten außer einer Welt, die bestenfalls eine Beute und schlimmstenfalls eine Feindin in ihr sah?
Erneut blickte er auf die Stelle, wo das rote Band und die Fährte der Menschen aufeinandertrafen. Er musste eine Entscheidung treffen, für sie – und nicht für sich selbst und seine Hoffnung, so schwer es ihm auch fiel.


Fortsetzung folgt, sobald die Frau Autorin Zeit und Muse hat ;-)

Montag, 9. Januar 2012

Schöner Salat


Nun bin ich ja nicht nur Geschichten-Aufschreiberin, sondern gelegentlich auch literarische Agentin und im Fall der Winter-Anthologie „Stille Nacht“ und ihrem Folgeband auch Herausgeberin. Ich lese also einiges, bevor es das Licht der Buchhandlungen entdeckt. Dabei stolpere ich immer wieder über ein Thema, das eher unwichtig, aber deshalb keineswegs reizlos ist. In meinem Fall sogar sehr reizvoll: in bestimmten Situationen kann ich mir den Mund darüber fusselig reden und dabei ganz viel mit dem Zeigefinger in der Luft herumwedeln. Bevorzugt während eines Telefonats, da sieht das wenigstens keiner.
Worum es geht?
Äh, tja ... um die optische Ausgestaltung eines männlichen Protagonisten. Puh, jetzt ist es raus. Bestimmt werden nun einige Augenbrauen hochgezogen („Seltsam, war bei meinen Ork-Gemetzeln noch nie ein Thema“), aber in einem Blog über Schreiben und Erzählen dürfen ruhig einmal abseitige Pfade beschritten werden, die zu solchen Telefonaten zwischen Autorin (genannt A1) und Agentin (genannt A2) führen:

A1: „Ich weiß auch nicht, warum mein Held schon wieder großartig aussieht. Ist für die Story eher unwichtig, schließlich steht die emotionale Zueinanderhinentwicklung der beiden Liebenden im Vordergrund.“
A2: „Also könnte man „umwerfend aussehend“ streichen und ihm stattdessen einen mopsigen Bauch andichten.“
A1: Zögern am anderen Ende der Leitung. „Könnte man ... möglicherweise. Sicher doch. Vielleicht beim nächsten Roman.“
A2: „Hand aufs Herz: findest du nur Männer attraktiv, die klassisch schön sind?“
A1: „Natürlich nicht! So ein Beuteschema ist doch vollkommen affig, in der Realität zählt das Gesamtpaket, ist doch ganz klar. Da wollen alle Sinne angesprochen werden, und nebenbei auch der Verstand. Echte Attraktivität ist eine komplexe Kiste.“
A2: „Könnte man bestimmt super drüber schreiben. Oder es sogar als Herausforderung ansehen: erst mal andeuten, dass der Held gewöhnlich aussieht, und dann durch die Magie des Erzählens die Leserschaft in seinen Bann ziehen.“
A1: „Klingt wunderbar, probier das mal selbst bei deinem neusten Roman aus und sag mir dann, ob es klappt.“
A2 (jetzt auch zur Hälfte A1): „Wieso denn ich? Du hast doch mal wieder diesen Schönling als Helden.“
A1: „Nun tu mal nicht so, Madame. Wie sieht denn dein aktueller Held aus?“ Klopft siegessicher mit den Fingernägel gegen einen hölzernen Gegenstand. Ein Tisch möglicherweise.
A2: Wirft sich in die Brust. „Aber es geht hierbei keineswegs um meinen Roman, sondern um deinen.“
A1: „Versuch ja nicht, dich aus der Affäre zu ziehen. Raus mit der Sprache, was ist das für ein Kerl?“
A1.2: Druckst noch herum, sagt dann leise „Ein heißer.“
A1: „Ha, habe ich es doch gewusst! Ruhig mal an die eigene Nase fassen, bevor du mir einen Helden mit mopsigen Bauch reinschreiben willst. Das mache ich nur, wenn deiner eine Halbglatze bekommt.“
A1.2: Leises Wimmern. „Aber der ist erst Anfang zwanzig.“
A1: „Auch noch jung. Das wird ja immer besser.
A2: Murmelt: „Schöne Kerle sind ein Fluch.“

Ja, schöne Kerle in Romanen sind ein Fluch, besonders für Autorinnen, die mehr im Sinn haben als „Leidenschaft“. Diesen Herren haftet nämlich stets das Vorurteil an, zwar so knackig wie Salat, aber eben auch so fad zu sein. Selbst in sozialkritischen, poetischen oder sonst wie anspruchsvollen Texten schleichen sich Passagen ein, in denen beschrieben wird, wie sich das Sonnenlichte auf seinem silbrig glänzenden Blondhaar bricht (die berühmt-berüchtigte Mischung aus tragischem Helden mit Bombenaussehen ist besonders beliebt).
Übrigens erwischt einen dieser Fluch sogar, wenn man bewusst auf Model-Erscheinung verzichtet und stattdessen schreibt „er war normal groß, hatte mittleres Haar und Augen hatte er auch“. Wenn Leserinnen dann die Figur beschreiben, sieht sie garantiert klasse aus, das passiert von ganz allein und ohne Hokuspokus.
Eine Kehrseite des Schönheits-Beschreibungs-und-Wahrnehmungs-Diktats liegt übrigens darin, wenn es plötzlich heißt „Grüne Funkelaugen kann ich nicht ausstehen, das sieht fies aus. Da stelle ich mir lieber Haselnussaugen vor“. Dann merkt man, dass es mit den Äußerlichkeiten seiner Helden wie mit guten Hollywood-Schauspielern ist: je leerer die Oberfläche, desto mehr kann hineininterpretiert werden. Wenn in meinem nächsten Roman lediglich steht „alles an ihm sah einfach richtig aus“, dann wissen Sie, werter Blog-Überflieger, warum. Es werden Wetten angenommen, dass dies der schönste Held aller Zeiten wird.