Freitag, 3. Februar 2012

Nach "Eine Spur von Rot", Teil 2

Hallo Ihr Lieben, 

heute geht es mit Finjas & Michal weiter (Prolog und Teil 1 sind unter den älteren Blog-Beiträgen zu finden, der Anfang der Geschichte steht in der Anthologie "Stille Nacht") - die Eiseskälte und der Schnee sind einfach inspirierend. Ich wünsche Euch viel Spaß und warme Füße.



Das rote Band

Sie ist fort, war der erste Gedanke, der zu Finjas im Erwachen durchdrang, noch bevor seine Sinne ihm zuspielten, dass Michal tatsächlich nicht mehr in der Höhle war.

Durch den Schrecken kehrte das Leben viel zu schnell in seinen Körper zurück, brannte sich glühend durch seine Adern, entzündete sich in seinen Gliedern und rauschte in seinen Schläfen. Es war allerdings nicht nur das Wissen, dass Michal nicht bei ihm war, wie sie es versprochen hatte, weshalb er auf eine Art erwachte, die ihn fast zerriss. Sondern es war auch ihr Blut: Mit ungebrochen berauschender Kraft toste es in ihm und verlieh ihm das Wissen, mehr als ein Schatten in der Nacht zu sein.
Während sich die Welt um Finjas herum drehte, richtete er sich auf und verdrängte sowohl das überwältigende Erlebnis als auch den Schmerz, den es mit sich brachte. Schließlich war dies ein Leichtes im Vergleich zu der aufsteigenden Panik. Wohin war Michal gegangen? Würde sie zurückkehren?, brach sie hervor und ließ sich nur mühsam von ihm unterdrücken.
 Was er jetzt brauchte, war ein kühler Kopf.
Ohne Rücksicht auf seine Gefühle, versuchte er sich an sein Gespräch mit Michael zu erinnern. Bruchstück für Bruchstück setzte er es zusammen, denn je mehr das Leben mit Anbruch des Tages aus ihm gewichen war, desto schwieriger fiel die Erinnerung. Ihre Worte versanken in Nebel, aber auch seine eigenen konnte er lediglich erraten.
Am Ende der Nacht war Michal erschöpft und ausgehungert gewesen, die Kälte hatte ihr zugesetzt und die frische Wunde an ihrem Hals zum Schmerzen gebracht. Natürlich hatte sie nichts gesagt, aber ihr Blut hatte es ihm verraten, wie ein Phantomschmerz hatte er das dumpfe Pochen gefühlt. Die Höhle, der verschneite Wald ... das waren nicht die richtigen Orte für ein Menschenmädchen, hatte er begriffen, während seine Gedanken immer träger geworden waren. Er hatte sie gedrängt, dorthin zu gehen, wo es Wärme und Nahrung für sie gab, obwohl sie diese Notwendigkeit bis zum Schluss abgestritten hatte.
Nun war sie nicht mehr da. Lediglich ihr Geruch war geblieben und eine feine Spur, die sich nur vampirischen Sinnen offenbarte. Schließlich war er ein Jäger, auch wenn er diesen Zug an sich verabscheute.
Mittlerweile hatte Finjas seinen Körper soweit unter Kontrolle, dass er durch den niedrigen Eingang der Höhle schlüpfte, ohne sofort in einen wilden Lauf auszubrechen, der die pulsierende Kraft in seinen Beinen befriedigt hätte. Die Nacht war gerade erst angebrochen und würde noch lange andauern, während die Tage auf dem Höhepunkt des Winters nicht mehr als ein kurzes Aufflammen in der Dunkelheit waren.
Finjas legte den Kopf in den Nacken und ließ die vielfältigen Eindrücke des Waldes auf sich einwirken. Vor seinem geistigen Auge zeichnete sich Michals Spur wie ein rotes Seidenband ab.
Es wäre so leicht, die Spur aufzunehmen, ihr zu folgen ...
Etwas hielt ihn jedoch davon ab.
Eine andere Spur.
Kein rotes Band, das zwischen ihnen durch das Geschenk geknüpft worden war, das Michal ihm gemacht hatte, sondern lediglich ein Geruch. Es war der Duft von jenem Elixier, von dem er vor kurzem zum ersten Mal gekostet hatte, jedoch mit einer anderen Note.
Einen Moment stand Finjas noch reglos da, dann begriff er: Menschen waren durch diesen Teil des Waldes gekommen, eine kleine Gruppe, wenn er sich nicht täuschte.
Mit so leichten Schritten, dass sein Füße kaum in den Schnee sanken, folgte er dem Geruch, der sich schließlich mit Michals roten Band kreuzte. Die Wege dieser Menschen und Michals waren zweifelsohne aufeinandergestoßen und sie hatten ihre Wanderung durch den Wald gemeinsam in die Richtung fortgesetzt, in die Michal ursprünglich gewollt hatte.
Das Fest, von dem sie ihm erzählt hatte. Die Heilige Nacht.
Ein Fest der Menschen, die verborgen in diesen nicht enden wollenden Wäldern lebten.
Dorthin war sie gegangen und mit dem Einbruch der Dunkelheit nicht wieder zu ihm zurückgekehrt. Die Fährte war kalt.
Zuerst wollte Finjas dem Verlangen nachgeben, ihr zu folgen, getrieben von dem übermächtigen Wunsch, bei ihr zu sein, ihren warmen Pulsschlag zu fühlen, ihre Stimme zu hören, einfach in ihrer Nähe zu sein. Dann beschloss er, die vergangene Nacht noch einmal in Gedanken durchzugehen, bevor er in diese Menschenbastion vordrang, die zweifelsohne gut bewacht sein würde. Finjas fürchtete die Wächter nicht, mit denen er bereits Bekanntschaft gemacht hatte, nur durfte er den Menschen, denen Michal sich zugehörig fühlte, nicht ohne guten Grund Leid zufügen. Seine Sehnsucht nach ihr würde als Rechtfertigung dafür wohl kaum ausreichen.
Während mit der stetig tiefer werdenden Nacht auch die Kälte zunahm, bis selbst Finjas sie spürte, drängte sich ihm die Frage auf, ob es nicht vielleicht das Beste für Michal war, wenn sie bei den Menschen blieb. Die Dinge hatten sich überschlagen, hatten ihnen keine Gelegenheit gelassen, auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken, was mit ihnen und zwischen ihnen geschah. Die alles entscheidende Frage war: was konnte er ihr bieten außer einer Welt, die bestenfalls eine Beute und schlimmstenfalls eine Feindin in ihr sah?
Erneut blickte er auf die Stelle, wo das rote Band und die Fährte der Menschen aufeinandertrafen. Er musste eine Entscheidung treffen, für sie – und nicht für sich selbst und seine Hoffnung, so schwer es ihm auch fiel.


Fortsetzung folgt, sobald die Frau Autorin Zeit und Muse hat ;-)