Es liegt an der Kindheit, an der Jugendzeit – schon
klar.
Als Mutter eines Achtjährigen schaue ich
auf mein Kind mit seinen Interessen, Neigungen und der langen Liste an Dingen,
die es verabscheut, und stelle fest: Viele Spuren waren bereits früh gelegt, sodass
ich eher selten die Chance bekomme, bei künftigen Wegentscheidungen
mitzumischen. Genau das ist jedoch oft die Hoffnung von uns Eltern, wir sehen
es ja als eine unserer wichtigsten Aufgaben, den Wegweiser zu spielen („Käfer
in Gläser einzusperren, ist zwar spannend. Aber! denk doch mal den aaarmen
Käfer.“ Nicht dass aus dem Kind später noch ein Sadist wird oder gar ein skrupelloser
Wissenschaftler).
Dabei beeinflussen wir unsere Kinder oft.
Manchmal öfter als uns lieb ist, etwa wenn
wir wieder einmal den Samstagvormittag im Bett vertrödeln, anstatt
energiegeladen in den Tag durchzustarten und seine Möglichkeiten bis zur Neige
auszukosten. Oder ganz schlimm: wir wollen auch unbedingt einen Burger von McD.
Es
scheint also nicht ganz verkehrt, sich einzugestehen, dass man Einfluss verübt,
ohne diesen Vorgang beeinflussen zu können. Und mit dem Ergebnis leben muss man
dann später auch noch.
So hat das zumindest meine Mutter
gesehen, als ich mit Vierzehn plötzlich anfing, mein mühsam zusammengekratztes
Taschengeld in Stephen King-Romane zu investieren. Dabei muss gesagt werden,
dass Frau Heitmann alle anderen Autoren und Autorinnen akzeptierte, die damals Einzug
in mein Bücherregal hielten. Sogar Anais Nin, die sich ein Jahr später mit
ihren erotischen Geschichten dazugesellte, und noch ein Jahr später Bret Easton
Ellis mit „American Psycho“ (vermutlich weil sie nach den ersten Seiten
Marken-Namen-Reizüberflutung erlitt und deshalb nicht herausfand, wovon der
Roman sonst noch so handelte). King jedoch stand für all das Schlechte, vor dem
sie ihre Tochter schon immer hatte bewahren wollen, angefangen bei der vulgären
Sprache, den expliziten Gewaltszenen und den überaus verstörenden
Horrorelementen. Es gehörte gewiss viel Stärke dazu, meine Schätze wie „Brennen
muss Salem“ und „Es“ als Erziehungsberechtigte nicht kurzerhand zu
beschlagnahmen und im Altpapier zu entsorgen. Frau Heitmann hat sogar versucht,
diese ach so abstoßenden Werke zu lesen, was ich ihr hoch anrechne.
Als ich fünfzehn Jahre später selbst mit
dem Schreiben angefangen habe und meine Mutter seitdem vermutlich zu meinen
begeistertsten Leserinnen gehört, hat sie zu mir gesagt: „Ich habe mir damals wegen
dieser Horrorromane wirklich große Sorgen gemacht. Wie gut, dass ich dir
vertraut habe. Offenbar hat dieser Schmierfink King einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss auf dich gehabt, aus dem du glücklicherweise etwas
ganz Eigenes gemacht hast.“ Da hat Frau Heitmann Recht. Die Liebe zur Spannung,
Figurenzeichnung und Familiegeschichte habe ich beim Lesen eben jener Romane erlernt.
Allerdings gab es jemanden, der mich zuvor auf den Geschmack gebracht hatte, sodass
ich das Verstörende, das Herzrasen und Angstattacken verursacht, überhaupt an
mich ranließ.
Die Sommerferien gehörten während meiner
Kindheit meinen Großeltern. Sie hatten ein Haus mit großem Garten, in der Nähe
gab es einen Kanal und den besten Wald aller Zeiten. Ihre Enkelkinder waren
willkommen und manchmal waren drei oder vier auf einmal zu Besuch. Für mich war
es ein besonderer Glücksfall, wenn ein bestimmter älterer Cousin mit von der
Partie war – aus gutem Grund. Er war gerade in Kometengeschwindigkeit in
Richtung Pubertät unterwegs und besaß nicht nur einen tragbaren
Kassettenrekorder, sondern auch eine Sammlung Horrorkassetten. Wenn die
Großeltern abends im Wohnzimmer saßen, die Tageschau und anschließend „Zum
Blauen Bock“ schauten, dann saßen wir zwei unterm Küchentisch. Es gab Ravioli
aus der Dose oder Nutella vom Esslöffel, dazu hörten wir „Draculas Schloss“.
Mein Großvater hätte diesem verantwortungslosen Halbstarken vermutlich die Hammelbeine langgezogen, hätte
er jemals herausgefunden, in welche Geheimnisse der Erzählkunst seine
zehnjährige Enkelin eingeführt wurde, anstatt mit frisch geputzten Zähnen im Bett zu liegen. Doch dafür war der
„Blaue Bock“ schlichtweg zu fesselnd. Und ich bemühte mich sehr, nachts vor
Angst lautlos ins Kissen zu wimmern. Das hatte mir mein Cousin ausgiebig
eingebläut. Aber auch so hätte ich alles dafür gegeben, nicht aufzufliegen. Die
mitreißenden Gefühle, die die Gruselgeschichten auslösten, waren die
Panikattacken mehr als wert. Als später in Kings „Shining“ Geister einem
kleinen Jungen das Leben schwer machten, war ich bereits gewappnet.
Es ist schwer zu sagen, was uns
ausmacht. Welche Erfahrungen wir machen müssen, die sich als entscheidende
Wegweiser entpuppen. Ob ich meinem Sohn deshalb „Draculas Schloss“ unterm
Küchentisch vorspiele? Gewiss nicht. Und falls ich jemanden dabei erwische, wie
er es tut, ziehe ich ihm die Hammelbeine lang. Schließlich bin ich die Enkelin
meines Großvaters.